"Wir möchten dem Pflegedienst mehr Selbstbewusstsein geben"

Kerstin Beissel ist Pflegedirektorin im Marien-Hospital Euskirchen, mit ihrem Stellvertreter Dezsö Polgari ist sie für mehr als 400 Pflegekräfte verantwortlich. Im Interview verraten sie, wie sie den Pflegedienst personell und mental stärken – und wie vertrauensvolle Führung von so vielen Menschen gelingen kann.

Stellen Sie sich zu Beginn kurz vor: Seit wann arbeiten Sie im Marien-Hospital Euskirchen und welche Tätigkeit führen Sie aus?

Kerstin Beissel: Ich habe 1994 meine Ausbildung hier begonnen und anschließend bis 2006 im Marien-Hospital Euskirchen gearbeitet, überwiegend in der Anästhesie-Abteilung. Dann wechselte ich für einige Jahre in die Schweiz und nach Köln, bevor ich 2009 zurückkam. Ich übernahm knapp zehn Jahre die Leitung die Anästhesie-Abteilung, wurde im Anschluss Pflegedienstleitung und seit 2019 arbeite ich als Pflegedirektorin.

Dezsö Polgari: Auch ich habe meine Ausbildung zum Krankenpfleger hier gemacht, damit begann ich 1998. Für den Zivildienst verließ ich das Haus und war anschließend in einem Seniorenheim tätig. 2004 kam ich zurück ins Marien-Hospital Euskirchen und arbeitete auf der geschützten Station PA. Später wurde ich dort stellvertretender Stationsleiter, 2010 Abteilungsleiter der Psychiatrie. Seit etwa zweieinhalb Jahren bin ich jetzt stellvertretender Pflegedirektor und arbeite dabei eng mit Frau Beissel zusammen.

Was war Ihr Ziel, als Sie die Stelle angetreten haben?

Kerstin Beissel: Unser Ziel ist es, den Pflegedienst zu stärken – sei es personell oder mental. Wir möchten dem Pflegedienst mehr Selbstbewusstsein und ein besseres Standing geben. Das ist ein langer Weg, da Pflege so sozialisiert ist, dass sie sich in einer untergeordneten Struktur befindet. Das ist sie aber nicht, Pflege ist ein ganz wichtiger Baustein vom Konstrukt Krankenhaus. Wichtig ist uns, dass sich die Pflege eingeordnet fühlt und nicht untergeordnet. Sie ist ein gleichwertiger Teil des Ganzen.

Dezsö Polgari: Ein weiteres Ziel war es, das Personal zu stärken. Es gab damals zu wenig Pflegekräfte im Marien-Hospital Euskirchen und immer wieder Ausfälle. Wir haben einen Flex-Pool etabliert, durch den Mitarbeiter spontan und überall arbeiten können. Mittlerweile sind etwa 20 Mitarbeiter in diesem Flex-Pool, was für eine gewisse Stabilität auf den Stationen sorgt. Darauf sind wir stolz, das war für uns ein Meilenstein und es ist ein Projekt, das wir weiter fortführen. 

Sie sind für eine sehr große Zahl an Mitarbeitenden verantwortlich. Wie gelingt es, dabei den Überblick zu behalten und in Kontakt zu bleiben?

Dezsö Polgari: Es sind etwa 270 Vollzeitstellen. Dadurch, dass es sich oft um Teilzeitkräfte handelt, kommen wir auf weit über 400 Köpfe. Natürlich gibt es jeweils Stationsleitungen, mit denen wir in Kontakt stehen und regelmäßige Termine haben. Wir erfahren, was die aktuellen Herausforderungen auf den Stationen sind und was gut läuft. Wir treffen gemeinsame Entscheidungen, um die Stationen nach vorne zu bringen. Es geht bei allem ja immer um die Patienten – wir wollen nicht nur auf uns schauen, sondern vor allem auf die Menschen, die hier behandelt werden.

Was ist Ihnen bei der Führung wichtig?

Kerstin Beissel: Mir ist ein vertrauensvoller Führungsstil auf Augenhöhe wichtig. Mitarbeiter können sich immer an uns wenden, wenn etwas ist. Gleichzeitig sollen eine Marschrichtung und ein roter Faden für sie erkennbar sein. Die Mitarbeitenden sollen wissen, worauf sie sich verlassen können und auch, was wir uns von ihnen wünschen. Zum Beispiel sind für uns Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und ein gewisses Selbstverständnis für den Beruf sehr wichtig.  

Was zählt für Sie noch, wenn Sie neue Mitarbeiter einstellen?

Dezsö Polgari: Für uns ist sehr wichtig, dass man sehr menschlich ist und die richtigen Sozialkompetenzen mitbringt. Man sollte respektvoll miteinander umgehen und gerne mit Menschen zu tun haben. Das Fachliche ist das Werkzeug, das man erlernt und hier erweitern kann – aber für uns zählt der Mensch. Er sollte authentisch sein und den Beruf wirklich mögen.

Sicher gibt es an Stationsleitungen noch einmal besondere Anforderungen?

Kerstin Beissel: Dafür sollte man in jedem Fall ein großes Selbstbewusstsein mitbringen und ein gutes Verständnis für das große Ganze. Man darf in einem so großen Haus nicht nur den eigenen Kosmos sehen. Und man muss Mitarbeitende gut mitnehmen und in ein Team integrieren können.

Was fasziniert Sie selbst am Pflegeberuf – und an Ihrer jetzigen Position?

Kerstin Beissel: Es hört sich oft nach einer Floskel an, aber für mich war es immer wichtig, Patienten in Extremsituationen unterstützen zu können. Ihnen durch meine Aufmerksamkeit oder ein paar beruhigende Worte etwas sehr Wertvolles zu geben – so, dass sie sich gut aufgehoben fühlen und sich in der für sie aufregenden Situation schnell beruhigen können. Mit Menschen zu arbeiten, macht mir großen Spaß, das spiegelt sich auch in der jetzigen Funktion wider. Ich bin immer mit unterschiedlichen Menschen zusammen und weiß morgens nicht, was der Tag bringt. Der Job bringt mich auch selbst immer wieder zum Nachdenken: Was kann ich besser machen, was kann ich noch leisten?

Dezsö Polgari: Ich habe den Beruf ausgewählt, weil Menschen in allen Abteilungen viel Dankbarkeit zurückgeben – sei es ein Dankeschön der Kollegen oder der Leitung, wenn man etwas gut macht, oder von den Patienten. Im Ursprung habe ich den Beruf erlernt, um Patienten in einer kranken Phase zu unterstützen und zu begleiten. Damit wir sie wieder in ihr Umfeld entlassen können, wo sie ganz sie selbst sein können.

Sie beide arbeiten sehr eng zusammen. Wie ergänzen Sie sich dabei?

Dezsö Polgari: Die Zusammenarbeit harmoniert sehr gut, weil wir beide sehr auf die Menschen achten. Wir haben die gleiche Wellenlänge und können uns gegenseitig reflektieren. Oft haben wir dieselben Gedanken, aber unterschiedliche Gedankengänge. So kommen wir zusammen zu Entscheidungen und es macht Spaß, so zu arbeiten.

Kerstin Beissel: Ich sehe Herrn Polgari weniger als meinen Stellvertreter, sondern als Partner auf gleicher Ebene. Rein fachlich ist es so, dass er aus der Psychiatrie kommt, ich aus der Anästhesie und Intensivmedizin, deshalb ergänzen wir uns mit unterschiedlichem Hintergrundwissen sehr gut. Menschlich gesehen haben wir oft unterschiedliche Lösungsansätze, aber ein gleiches Werteverständnis. Wir arbeiten sehr eng und vertrauensvoll miteinander.

Sie sind beide schon sehr lange im Marien-Hospital Euskirchen beschäftigt: Was schätzen Sie hier besonders?

Kerstin Beissel: Das Marien-Hospital ist ein beständiger und zuverlässiger Arbeitgeber, hier herrscht noch ein familiäres Verhältnis. Natürlich merken auch wir, dass sich das Gesundheitswesen verändert und es gewisse Anforderungen gibt, was wir wirtschaftlich liefern müssen – aber gleichzeitig bleibt alles familiär und vertrauensvoll. Auch während den Herausforderungen in der Covid-Pandemie und in der Flutkatastrophe hat sich ein extrem großer Zusammenhalt gezeigt. Das erlebe ich als besonders und sehr wertvoll.